Die drohende Räumung und Zerstörung des letzten bewohnten Bauernhofs im Dorf Lützerath an der Tagebaukante in Garzweiler ist vorläufig ausgesetzt bis zur Entscheidung des OVG Münster zur vorzeitigen Inbesitznahme durch den Kohlekonzern. Dieser Beitrag erläutert mit Blick auf die Geschichte der juristischen Auseinandersetzungen zu den Tagebauen, was dies bedeuten kann.
Wir erinnern uns: Vor ziemlich genau 3 Jahren stand die nächste Rodungssaison am Hambacher Wald bevor. Eine willfährige Landesregierung ließ unter dem Vorwand des Brandschutzes die Baumhäuser der Waldbeschützer räumen und zerstören – ohne Rücksicht auf die laufenden Verhandlungen der Kohlekommission und die juristische Klage des BUND NRW. Zwei Tage vor der großen Demo verkündete das Oberverwaltungsgericht Münster den Rodungsstopp.
Und jetzt am Garzweiler Tagebau: Wieder hatte das Landesoberbergamt in Arnsberg – wie immer — dem Konzern grünes Licht gegeben für seine Landvernichtung. Diesmal sollte die vorzeitige Inbesitznahme des Hofes und der Ländereien des letzten Bauern im Dorf Lützerath vollzogen werden – obwohl seine Beschwerde vor dem OVG gegen die Inbesitznahme noch nicht entschieden ist und in Berlin die potentiellen Koalitionäre über einen früheren Kohleausstieg verhandeln.
Ab dem 1. November sollten in bekannter Manier Fakten geschaffen werden. Doch dann passierte etwas noch nie Dagewesenes: Die Vorsitzende Richterin, Gudrun Dahme, forderte eine ausreichende Bearbeitungszeit, um das Urteil der ersten Instanz prüfen zu können und erwirkte eine Vereinbarung mit der RWE, dass bis zur Entscheidung (wahrscheinlich am 7.1.2022) nichts unternommen wird, was nachher nicht mehr umkehrbar ist!
Einmal Luft holen und weiterkämpfen
Man kann viel darüber spekulieren, was die Herrschaften in den Vorstandsetagen zu diesem „die Füße stillhalten“ bewogen hat. Das Wichtigste ist für den Augenblick, dass die Großdemo am 31.10. um 12.00 h in Lützerath zu der die Fridays, campact und viele andere aufgerufen hatten, wohl eher ein Fest der Freude darüber wurde, dass ein Etappensieg gegen die anstehende Räumung, Rodung und Zerstörung der Gebäude erreicht wurde.
- Aber Vorsicht: Damit „Lützi bleibt“, ist der Kampf noch lange nicht zu Ende.
Ab der ersten Novemberwoche wird es weiter rege Bautätigkeit an den Baumhäusern, Wachtürmen und dem Winterquartier der Aktivist*innen vor Ort geben. Eine große Wiese und der Wald an der L 277 sollen „unräumbar“ werden. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür besteht bereits:
Der Eigentümer des Geländes ist nicht die RWE, sondern der Bauer Eckardt Heukamp. Solange er nicht enteignet ist, haben nur diejenigen Zutritt, die in guter Absicht kommen.
- Deshalb geht hin zur Dauermahnwache an der L 277, bietet eure Hilfe bei Material, Versorgung und Beschaffung an. Erfreut euch an der Tatkraft der jungen Leute in solidarischer Gemeinschaft und packt mit an, wann immer ihr Zeit habt. Es gibt viel zu tun.
Die Rolle der Justiz
Dass die Justiz manchmal den Schläfern in der Politik Beine machen muss, hat das Verfassungsgerichtsurteil zum Klimaschutzgesetz in diesem Jahr gezeigt. Zwei andere juristische Entscheidungen zeigen, dass der Wind nun NRWE entgegen bläst.
Die Begründung der großen Polizeiaktion, die 2018 den Steuerzahlern 50 Mill. € gekostet hatte, wurde vom Landgericht Köln als ungesetzlich beschieden. Wohlgemerkt von einem Gericht, das früher immer im Interesse von Konzern und seinen politischen Bütteln entschieden hatte. Gegen den CDU- Bürgermeister entschied der Stadtrat von Kerpen sich dagegen, eine Berufung gegen das Urteil einzulegen.
Der Angriff eines durchgedrehten Polizisten gegen den Dokumentarfilmer Todde Kemmerich bei der letzten Rodung 2017 war strafrechtlich unter den Teppich gekehrt worden. Aber beim zivilrechtlichen Verfahren wurde ihm in diesem Jahr das Recht auf eine Entschädigung zugesprochen.
Doch was nützt es den Betroffenen, wenn sie Jahre später bestätigt bekommen, dass sie das Recht auf ihrer Seite hatten?
Das Bergrecht, das eine Zwangsenteignung wegen „Energiepolitischer Notwendigkeit“ erlaubt, stammt noch aus der Zeit des 3. Reichs und diente den Nazis zur Kriegsvorbereitung. Die (mittlerweile abgewählte) Mehrheit im Bundestag ließ sich dazu hinreißen, im Kohleausstiegsgesetzes 2020 diesem Begriff bezogen auf Garzweiler einen eigenen § 48 zu widmen. Ein Beschluss der nicht zuletzt deshalb erfolgte, weil den Parlamentariern ein Gutachten im Auftrag des Wirtschaftsministeriums vorenthalten wurde, welches sie vom Gegenteil hätte überzeugen können. (Siehe unser Blog Beitrag).
Eine Verfassungsbeschwerde, die vom Tagebau betroffene Eigentümer eines Grundstücks in Keyenberg (Solidargemeinschaft Menschenrecht vor Bergrecht) gegen die „Lex-Garzweiler“ (den § 48) im September 2020 einreichten, wurde seitens des BVerfG (erstmal) nicht angenommen, weil RWE noch keinen förmlichen Enteignungsantrag gestellt hat. Traut man sich in der Essener Konzernzentrale nicht, weil man eine Niederlage fürchtet?
Die im Frühjahr 2021 eingereichte Klage des Lützerather Landwirtes gegen das Land NRW, um seine Vertreibung zu verhindern, hat nach dem veralteten Bergrecht keine aufschiebende Wirkung. Deshalb ist die Verlängerung der Frist, bis das OVG über die „vorzeitige Inbesitznahme“ durch RWE entschieden hat, auch eine juristische und politische Chance, um den Irrsinn eines überkommenen Rechtskonstrukts immer wieder in die Öffentlichkeit zu bringen.
- Die Kosten für diese Prozesse gehen mittlerweile in die Zehntausende Euro. Deshalb hier das Spendenkonto zur Unterstützung von Eckardt Heukamp im Zwangsenteignungsverfahren Heukamp ./. NRW: IBAN: DE63 3106 0517 6008 4590 43
RWE macht weiter wie bisher
Lassen wir uns nicht täuschen. „Fakten schaffen“ ist nach wie vor das Prinzip, mit dem RWE seine gigantischen Bagger vorrücken lässt. Im Jahr 2019, als nach der Entscheidung der Kohlekommission klar war, dass unter dem Hambacher Wald keine Kohle mehr zu holen ist, ließ man trotzdem im Vorfeld des Waldes über mehrere hundert Meter die Tagebaukante bis auf 50 m an den Wald vorrücken. Dabei wurde nicht nur wertvoller Waldboden entfernt, sondern auch Millionen Kubikmeter „Mischboden 1“ auf der sog. Innenkippe des Tagebaus „entsorgt“.
Genau dieses Kies-Sand-Gemisch wird allerdings für die Gestaltung von standfesten Unterwasserböschungen für den geplanten See benötigt. Nun will man dieses Material gewinnen, in dem im Osten des Waldes die sog. „Manheimer Bucht“ gegraben wird. Eine Verwendung des Abraums der südlich der Sophienhöhe in gigantischen Mengen aufgeschüttet wurde, erklärt man für technisch nicht mehr rückholbar. Dass hierfür vornehmlich betriebswirtschaftliche Gründe ausschlaggebend sind, pfeifen die von der Tagebauerweiterung im Bereich Manheim betroffenen Vögel von den Bäumen der kleinen Waldstücke, die ihnen noch verblieben sind.
Das willfährige Oberbergamt hat den Einstieg in diesen Vernichtungsfeldzug mit dem neuen Rahmenbetriebsplan 2021 bis 2014 bereits in vorauseilendem Gehorsam genehmigt. Der BUND NRW klagt dagegen. Ende offen.
Auch in Garzweiler rücken die Bagger ungebremst weiter vor.
Es bleibt nur eines: Immer und immer wieder den öffentlichen Druck zu erzeugen, um deutlich zu machen, dass der Energieriese nur eine Chance hat, überzeugend seine Wende zum größten Grünstromerzeuger hinzubekommen: Er muss sich schleunigst entscheiden, seine Braune-Kohle-Vergangenheit zu beenden und zwar nicht nur mit schönen Video-Clips auf ihrer Website sondern mit Fakten, die es verdienen alternativ genannt zu werden.