„Einfach eine Bombe bauen“
Reaktorsicherheitsexperte Rainer Moormann über die Proliferationsgefahr von Thorium-Reaktoren und von Euratom finanzierte Forschungen in Deutschland, die solch neue AKW erst möglich machen sollen
Herr Moormann, Fernseh-Dokus und Presse-berichte preisen Thorium als Atombrennstoff der Zukunft, Wissenschaftler*innen forschen an neuen Reaktoren, die damit laufen sollen – angeblich alles ganz ungefährlich. Ist das so?
Mit Sicherheit nicht. Thorium hat kleine Vorteile bei der Entsorgung, hat Nachteile bei der Sicherheit und ganz große Nachteile hinsichtlich der Proliferationsgefahr.
Atombomben aus Thorium?
Thorium selbst ist kein Spaltstoff, kann also auch nicht als Brennstoff für Reaktoren dienen. Aber man kann daraus in einem Reaktor Uran‑233 erbrüten – und das hat ganz ähnliche Eigenschaften wie das bekannte Uran‑235 …
… das in allen herkömmlichen Uran-Brennelementen enthalten ist.
Aber nur zu etwa 5 Prozent und vermischt mit dem nicht spaltbaren Uran‑238. Liegt Uran‑235 relativ pur vor, also in hoher Anreicherung, kann man damit ziemlich einfach eine Atombombe bauen. Es genügt, zwei knapp unterkritische Massen davon aufeinander zu schießen. Für Uran‑233, wie es in Thorium-Reaktoren entsteht, gilt das genauso. Mit Plutonium geht das bei Weitem nicht so einfach. Die Investitionen, die man für solche Uranbomben tätigen muss, sind relativ klein, die Technologie bekannt. Das kriegen auch Terrororganisationen hin. Insofern ist die Verbreitung des Thoriumkreislaufs schlicht unverantwortlich.
Zu den am meisten diskutierten Thorium-Reaktorkonzepten – jedenfalls bei jenen, die von einer „Generation IV“ neuer AKW träumen – gehören die sogenannten Flüssigsalzreaktoren. Was ist an denen so problematisch?
Vor allem die in vielen Konzepten vorgesehene integrierte Wiederaufarbeitungsanlage (WAA). Da kann man leicht Waffenuran abzweigen – oder noch besser sein kurzlebiges Vorläufernuklid Protactinium‑233, das dann zu hochreinem und optimal waffenfähigen Uran‑233 zerfällt.
Warum sehen die Konzepte eine solche integrierte WAA überhaupt vor?
Weil damit störende Nuklide aus dem Reaktor entfernt werden können. Selbst wenn ein als Brüter konzipierter Reaktor keine große und komplexe integrierte WAA etwa zur Protactinium-Abscheidung enthält, muss man mindestens das entstehende überschüssige Uran‑233 kontinuierlich abscheiden. Das strahlt dann zwar, es ist mittelaktiv, aber trotzdem für den Bau von Atomwaffen gut nutzbar. Wer sowas vorhat, lässt sich schließlich kaum von einer Strahlenschutzverordnung davon abhalten.
Ließen sich Flüssigsalzreaktoren nicht auch mit Uran betreiben?
Doch, es geht sogar leichter: Ein kanadisches Unternehmen etwa entwickelt bereits eine solche Variante. Ich vermute mal, dass die Amerikaner und Russen schon verhindern wollen, dass sich der Thorium-Kreislauf etabliert. Denn sonst könnten sie ihre ganzen Bemühungen um Nicht-Weiterverbreitung von Atomwaffen eigentlich einstellen.
Warum wird die Thorium-Variante dann überhaupt verfolgt?
Das erschließt sich mir nicht wirklich. Es sind in der Regel kleine Startups, die das machen. Das scheint so eine Art Hype zu sein. Bedauerlicherweise finanziert auch die Euratom die Entwicklung solcher Thorium-Reaktoren. Das halte ich für völlig unverantwortlich.
Gibt es Forschung dazu auch in Deutschland?
Im Joint Research Center (JRC) Standort Karlsruhe, einem Forschungszentrum der Euratom auf dem Gelände des Karlsruher Institut für Technologie (KIT; früher Kernforschungzentrum Karlsruhe und Universität Karlsruhe) wird die Entwicklung des Molten Salt Fast Reactors (MSFR) ganz maßgeblich betrieben, auch das KIT selbst ist im kleinen Umfang mit dabei. Dazu gibt es viele Veröffentlichungen.
Der Politik zufolge geht es lediglich um „Sicherheitsforschung“.
Das ist immer die beste Ausrede. In der Kerntechnik kann man wegen des extremen Risikos so gut wie alles als Sicherheitsforschung bezeichnen.
Ist die Proliferationsgefahr unter den beteiligten Wissenschaftler*innen kein Thema?
Doch, das wird auch kontrovers diskutiert. Unter anderem Areva-Wissenschaftler und die britische Atomaufsicht haben sich deswegen schon relativ negativ zu Thorium geäußert. Insofern ist es umso erstaunlicher, dass die Euratom da mitmacht. Immerhin gab es schon 2012 einen vielgelesenen Artikel in „Nature“, in dem britische Wissenschaftler auf die großen Proliferationsgefahren von Thorium hingewiesen haben.
Spricht nicht gerade die Aussicht, mit dieser Technik ganz leicht an waffenfähiges Uran-233 kommen zu können, dafür, dass sich doch jemand um ihre Entwicklung kümmert?
Das ist natürlich zu befürchten.
Interview: Armin Simon
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