Anfang Februar haben wir die Abschaltung vom Rissereaktor Tihange 2 feiern dürfen. Doch dann kam die Hiobsbotschaft in AN/AZ: „Die belgische Regierung lässt prüfen, ob die drei ältesten Atomreaktoren des Landes zwei weitere Jahre bis 2027 betrieben werden können. Die Analyse soll bis Ende März durchgeführt werden, berichtete die belgische Nachrichtenagentur Belga unter Berufung auf Regierungskreise am Freitag.“
Laufzeitverlängerung für die Uraltreaktoren?
Diese Reaktoren hatten 2015 eine Verlängerung der Laufzeit auf 50 Jahre erhalten. Dies stellte sich laut EuGH- Urteil allerdings als rechtswidrig heraus, weil keine länderübergreifende Umweltverträglichkeitsprüfung (i‑UVP) vorgenommen wurde (s. HIER). „Sorgen über die Sicherheit der Energieversorgung“ sollen der Grund für die Verlängerung bis 2027 sein. Das ist äußerst fragwürdig, wenn man sich genauer anschaut, wie Belgien z.B. in die Jahre 2015 und 2018 überstanden hatte (blaue Kästen in der Grafik). Damals lag die Stromlieferung der AKW — bedingt durch längere Stillstände und Reparaturen — auf einem Niveau, das nur bei der Hälfte der maximalen nuklearen Erzeugungskapazität lag. Die Grafik zeigt aber auch: Die erneuerbere Stromversorgung hat sich in den letzten 6 Jahren in Belgien immerhin etwa verdoppelt (grüne Kästchen). Warum sind damals als fast die Hälfte Zeit die AKW nicht liefen, dennoch keine Lichter ausgegangen — nicht mal an den Autobahnen? Wir haben ein europäisches Verbundnetz, über das der Stromaustausch zwischen den Ländern tagtägliches Geschäft ist, s. zweite Grafik. In den Jahren, in denen die Belgischen Pannenreaktoren sich durch häufige außerplanmäßige Abschaltungen ihren Namen “verdienten”, importierte das Land überwiegend Strom aus den Niederlanden. Ab 2019 hatte Belgien Stromüberschüsse, die größtenteils nach Großbritanien exportiert wurden. In 2022 waren (rechnerisch) 1,5 AKW nur dazu da, die französichen Stromlücken zu schließen. Kurzum: Versorgungsengpässe sind zu bewältigen. So hat Belgien z.B. über 20 Gaskraftwerksblöcke mit einer installierten Leistung von 7 Gigawatt. Dies ist fast das doppelte der verbleibenden AKW Kapazität nach Abschalten der Rissereaktoren. Diese Gaskraftwerke waren in den letzten Jahren im Schnitt nur zu einem Drittel ausgelastet.Wie sollen eventuelle Stromlücken geschlossen werden?
Das EuGH- Urteil fordert für die Laufzeitverlängerung (LZV) von Doel 1 &2: Wenn die Rechtssicherheit durch eine i‑UVP erst nachträglich hergestellt werden kann, ist es möglich, diese auch parallel zum Weiterbetrieb der Reaktoren vorzunehmen. Aber nur dann, wenn “eine tatsächliche und schwerwiegende Gefahr, dass die Stromversorgung des betreffenden Mitgliedstaats unterbrochen wird, abzuwenden (ist), der nicht mit anderen Mitteln und Alternativen, insbesondere im Rahmen des Binnenmarkts, entgegengetreten werden kann. Diese Aufrechterhaltung darf sich nur auf den Zeitraum erstrecken, der absolut notwendig ist, um die betreffende Rechtswidrigkeit zu beseitigen.“ Die folgenden Grafiken aus dem Vortrag von Robert Borsch-Laaks bei der 3 Rosen Veranstaltung am Fr, 3.3.23 im Haus der Ev. Kirche helfen bei der Einschätzung “Alternativen” und des “Binnenmarkts”. Die Grafik rechts zeigt am Beispiel des Jahres 2022, dass Belgien im Verbund mit fünf Nachbarländern genügend Kapazität an Hochspannungsleitungen verfügt, um je nach Bedarf importieren und exportieren zu können. Fünf GigaWatt Kapazität zum kurzzeitigen Verschieben von Kraftwerksleistung entspricht etwa der maximalen Erzeugung aller derzeit noch am Netz befindlichen AKW in Belgien. Die weiteren Grafiken zeigen die Situation im Jahr 2020 als die Altreaktoren 5 Monate lang keinen Strom produzierten. Selbst im kritischsten Monat (Januar) wurde nach fast soviel Strom exportiert wie importiert. In der ungünstigsten Zeit (kaltes Wetter mit wenig Windangebot in der 3. Kalenderwoche) reichte ein Hochfahren der Gaskraftwerke auf etwa 60% von deren installierter Leistung und im Mittel ein Stromimport von 1.000 bis 2.000 MW für die Versorgung aus (incl. der Autobahnbeleuchtung). Bei mildem Wetter mit den dann typischen kräftigen Westwinden konnte sogar bei nur 50% der Leistung der Gaskraftwerke Strom exportiert werden. Für die Frage, ob ab 2026 die Versorgung sichergestellt werden kann, wenn neben den Rissereaktoren auch die Altreaktoren planmäßig nicht mehr am Netz sein sollten, lässt sich hieraus schließen: Die verfügbare Leistung aus AKW wird sich dann gegenüber 2020 halbieren. Aber:- Die Reserven in der Auslastung der Gaskraftwerke und die grenzüberschreitenden Potentiale zur Abdeckung von Spitzenlasten sind völlig ausreichend, um einen Black out zu verhindern.
Wie ist die juristische Lage?
Für die „Beseitigung der Rechtswidrigkeit“ (= illegale Laufzeitverlängerung — LZV — ggf. nachträglich legalisieren) wurde vom Gericht dem Land Belgien eine Frist von 3 Jahren eingeräumt (bis Ende 2022). Diese ist bereits überschritten. Selbst wenn man den Beschluss des belgischen Verfassungsgerichtes, welches das EuGH- Urteil in Landesrecht übernahm (März 2020), als Start der Verfahrensaufzeit ansieht, dann müsste spätestens im März 2023 hier Klarheit geschaffen werden. Aber auch wenn durch die Regierung dann eine Laufzeitverlängerung für Doel 1 & 2 beschlossen würde, dann gilt diese nur bis 2025. Denn weiter reichte die in 2015 genehmigte LZV nicht! Für eine Verlängerung bis 2027 gibt es keine rechtliche Grundlage!Was bedeutet das für Tihange 1 vor unserer Haustür?
Das gilt juristisch auch für den rechtswidrigen Weiterbetrieb von Tihange 1 von 2015 bis 2025, wie auch das Umweltbundesministerium zu dieser Frage festgestellt hatte. Die Hintertür für einen Weiterbetrieb während der laufenden UVP-Prüfung von D 1&2 jetzt für eine Option nutzen, um eine Verlängerung von T 1 bis 2027 zu konstruieren, ist unsereserachtens eine Rechtsbeugung ohne gleichen.- Dies ist umso wichtiger, weil dieser Reaktor in der Vergangenheit derjenige mit den meisten Störfällen war, die zu einem außerplanmäßigen Abschalten führten.
- In den Jahren 2013 bis 2015 gab es 8 „precursor“ Zwischenfälle (mehr als an allen anderen Blöcken zusammen), „die Vorläufer oder Vorboten von schweren Schäden am Reaktorkern bis hin zur Kernschmelze sein können.“ (lt. Wikipedia)
- Prof. Dr. Manfred Mertins (ehem Seniorexperte der Ges. für Anlagen und Reaktorsicherheit, Köln) belegte 2018 in einer Studie im Auftrag der Grünen im EU-Parlament, dass der Betrieb von Tihange 1 wegen „der defizitären Auslegung, der Kritiken am Sicherheitsmanagement sowie den negativen Trends in der Betriebserfahrung eine potentielle Gefahr für den Standort und dessen Umgebung darstellt.“ (Zusammenfassung der Studie HIER runterladen)
- Seit 2005 verliert überdies Tihange 1 pro Tag etwa 2 Liter radioaktiven Wassers, ein Problem, das bis dato nicht behoben werden konnte.
Was soll mit Tihange 3 und Doel 4 geschehen?
Nach dem Jahreswechsel 2022/23 wurde öffentlich, dass nach einem halben Jahr Verhandlungen eine Einigung zwischen der Regierung und ENGIE/ Electrabel erzielt wurde, um den Prozess der Planung und Prüfung einer eventuellen LZV in Gang zu setzen. “An dem Vorhaben soll sich nach Angaben von Ministerpräsident De Croo zur Hälfte der belgische Staat und zur Hälfte der Betreiber Engie beteiligen”. Mit dieser Formulierung sind die Kosten der notwendigen Nachrüstungen gemeint. Mehr noch: Es soll eine neue Betreibergesellschaft für die beiden Reaktoren gebildet werden, an der Staat und Engie je zur Hälfte beteiligt sind. Gab es jemals eine solche Verquickung von Stromkonzern und Politik?- Das heißt im Klartext, dass die belgischen Steuerzahler für ihre Sicherheit zur Hälfte selber aufkommen müssen — auch eine Methode die Stromerzeugungskosten aus der Atomkraft kleinzurechnen und dem französischen Engie-Konzern Betreibern die Gewinne zu sichern.
- Mit dieser Summe könnte man auch 4.000 moderne Windenergieanlagen finanzieren, welche jährlich die vierfache Menge an Strom produzieren wie die beiden Reaktoren. (Details zu diesem Vergleich HIER )
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- Es ist alles zu tun und nichts zu unterlassen, was die Sicherheit der Anlage betrifft. Vorher ist ein Weiterbetrieb der Reaktoren ein No Go.
- Dazu müsste gehören, bei den Belgiern einen Erörterungstermin auf deutschem Boden und in deutscher Sprache zu fordern. Wir schlagen dafür Aachen als die nächstgelegene betroffene Großstadt vor.
- Deshalb unser Wunsch an StädteRegion und Stadt Aachen aus dem Umfeld der INRAG- Konferenz 2018 zu Tihange 2 Fachleute zu beauftragen, mit dem Fokus der intensiven, fachlichen Prüfung der belgischen Rapporte.