Kohleenergie: Der Vorschlag der Kohlekommission ist zu mutlos, zu wenig, zu spät
Anika Limbach
Klimamäßig sollten wir uns wohl langsam entscheiden: Steuern wir einen Temperaturanstieg von 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter an? Und riskieren damit bereits, klimarelevanten Kipppunkten gefährlich nahezukommen? Oder mehr noch: Nehmen wir eine Erderwärmung von zwei Grad in Kauf, bei der alle Korallenriffe verloren gehen, der Permafrostboden vollständig auftauen, das Artensterben sich beschleunigen würde und bis 2100 zehn Millionen mehr Menschen vom ansteigenden Meeresspiegel betroffen wären als bei einer Begrenzung auf 1,5 Grad?
Wir wissen, dass Deutschland, Europas größter Klimasünder, erheblich zur Erderwärmung beiträgt. Wir wissen auch, dass für die Pro-Kopf-Emissionen – doppelt so hoch wie der weltweite Durchschnitt – zum größten Teil die Kohleindustrie verantwortlich ist. Fünf deutsche Braunkohlekraftwerke belegen Platz 2 bis 6 der größten fossilen Emittenten Europas.
Wie ist dann ein Kohleausstieg bis 2038, den die Kohlekommission mehrheitlich empfiehlt, zu bewerten? Der Grünen-Politiker Hans-Josef Fell bringt es auf den Punkt: „Die Folgen der Erderwärmung sind jetzt schon unerträglich. Aus Klimaschutzsicht müssen wir sofort aufhören, Treibhausgase auszustoßen.“ Da das aber nicht gehe, müsse es eben „so schnell wie möglich“ passieren – eine Formulierung, die inzwischen inflationär und mit sehr unterschiedlichen Absichten benutzt wird. Während Fell dabei die technische Machbarkeit im Blick hat, definiert die Führungsriege des Braunkohleproduzenten RWE ein So-schnell-wie-möglich innerhalb eines Rahmens, der ihre Bilanzen nicht belastet.
Bestandsschutz für Kraftwerke
Was in der Kohlekommission ausgehandelt wurde, ist in Wahrheit das Gegenteil von einem So-schnell-wie-möglich: Es ist der höchste Bestandsschutz für Kohlekraftwerke, der gegen einen breiten gesellschaftlichen Widerstand möglich war. Das zeigte sich auch am Börsenwert der RWE-Aktie, die unmittelbar nach dem Kohle-Kompromiss Aufwind bekam. Die Börsianer honorierten vor allem, dass eine frühe Stilllegung von Kohlemeilern gut entschädigt werden soll. Auch für Meiler, die man ohnehin aus wirtschaftlichen Gründen außer Betrieb genommen hätte, wird nun bald Geld fließen. Das trifft vermutlich auf einige Braunkohleblöcke in Ostdeutschland sowie auf Steinkohlemeiler zu, die bis Ende 2022 vom Netz gehen sollen. Wirklich substanziell ist deshalb nur die zusätzliche Abschaltung uralter Braunkohleblöcke im Rheinland – 3,1 Gigawatt innerhalb von vier Jahren. Damit wären zwar der Hambacher Wald und die bedrohten Dörfer nahe Garzweiler gerettet, nicht aber die Dörfer nahe ostdeutscher Tagebaue. Und erst recht nicht das Klima.
Laut der CO2-Uhr des Marcator-Instituts, die auf aktuellen Daten des Weltklimarates beruht, bleibt uns zur Einhaltung des 1,5‑Grad-Zieles weltweit ein CO2-Budgets von 372 Gigatonnen. Geht man davon aus, dass jedes Land gleichermaßen und entsprechend der Bevölkerungsanzahl für die Emissionssenkung verantwortlich ist, ergibt sich für Deutschland ein Budget von 4,1 Gigatonnen CO2, wovon für den Stromsektor zwischen 1,2 und 1,7 Gigatonnen zu veranschlagen wären. Mit dem von der Kohlekommission vorgelegten Ausstiegspfad wäre dieses Budget nach vier bis sechs Jahren ausgeschöpft. 2038 wäre die dreifache Menge erreicht.
So bleibt die Frage, wie schnell ein Kohleausstieg vollzogen werden kann. Hans-Josef Fell ist der Ansicht, dass mit politischem Willen sehr viel mehr möglich wäre, sogar eine weltweite Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2030. Fell hält auch einen Kohleausstieg innerhalb weniger Jahre für technisch umsetzbar. Das deckt sich mit einem vom Öko-Institut berechneten Szenario, wonach Ende 2024 der letzte Kohlemeiler vom Netz gehen würde.
Deutschland leistet sich extrem hohe Standards bei der Versorgungssicherheit. Mit einer Senkung auf das französische Niveau wäre ein noch früherer Ausstieg möglich. Regresszahlungen an Betreiber fielen dabei kaum ins Gewicht, denn die gesellschaftlichen Kosten, die der Klimawandel verursacht, sind um ein Vielfaches höher. Doch auch diese Kalkulation verdeckt, worum es eigentlich geht: Um die existenzielle Menschheitsfrage, welche Welt die Generationen nach uns vorfinden werden.
Anika Limbach
Im Laufe ihrer langjährigen Tätigkeit als Schauspielerin und Regisseurin und Schauspiellehrerin entdeckte Anika Limbach ihre Leidenschaft für das Schreiben. 2009 begann sie mit den Hintergrundrecherchen für ihren Roman “Gefahr ohne Schatten”, eng verknüpft mit ihrem Engagement in der Anti-Atom-Bewegung. Was sich daraus ebenfalls entwickelte, war und ist ihre journalistische Tätigkeit im Bereich Umwelt und Energie, unter anderem unterstützt sie zurzeit die Öffentlichkeitsarbeit von AntiAtomBonn.
Anika Limbach arbeitet als freischaffende Schriftstellerin und Journalistin und lebt zusammen mit ihrem Mann in der Nähe von Köln und Bonn. Mehr Informationen auf: www.anika-limbach.de